Die Frau und der kleine Junge sind zur falschen Zeit im falschen Auto. Henrieta Brestovanska fährt den blauen VW Passat ihres Freundes Juraj Gál, hinten sitzt Richard, der Sohn von Gál. Eigentlich will der Mörder Juraj Gál exekutieren, einen ehemaligen Polizisten, es geht um Abrechnungen im Mafia-Milieu. Doch Gál ist nicht im Auto. Die Schüsse aus dem Maschinengewehr treffen seine Freundin Henrieta, 30, und seinen Sohn Richard, 9 – irrtümlich.
Most pri Bratislave, ein Vorort der slowakischen Hauptstadt, am 29. Dezember 2004: Der Mord an Henrieta Brestovanska und dem kleinen Richard ist als einer der berüchtigsten Fälle in die Geschichte des postkommunistischen organisierten Verbrechens in der Slowakei eingegangen. Vor allem, weil der Mörder die Falschen erschoss. Aber auch, weil es um staatliches Versagen und wohl auch um staatliche Verwicklung geht: Den Fall haben Ermittler zwar längst aufgeklärt. Doch das Urteil gegen den mutmaßlichen Mörder, der wegen anderer Morde bereits zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt wurde, ist bis heute nicht gesprochen. Den mutmaßlichen Hauptauftraggeber des Mordes ließen slowakische Behörden entkommen. Er steht seit Jahren unter Anklage, hält sich aber seit 2012 in Belize auf, ohne ausgeliefert zu werden.
Verbindungen des Staates zur Mafia
Wenn Ivan Chovan heute über den Mord in Most pri Bratislave spricht, dann kommt er schnell zu einer Schlussfolgerung. “Dieser Fall illustriert”, sagt der Kriminalkommissar a.D., “dass es zwischen der Polizei und dem organisierten Verbrechen, zwischen den staatlichen Institutionen und der Mafia Verbindungen gibt. Das ist in unserem Land kein Einzelfall, sondern bis heute verbreitet.”

Ivan Chovan, 47, war einer der leitenden Ermittler im Mordfall in Most pri Bratislave. Nach Schikanen und Versetzungen quittierte er 2012 den Polizeidienst. Es ist eine Ausnahme in der Slowakei, dass ehemalige oder noch tätige mittlere Beamte wie er offen über ihre Unzufriedenheit mit der Führung in Polizei, Justiz oder Staatsverwaltung reden. Chovan erzählt jetzt erstmals öffentlich seine Geschichte. Er spricht dabei nur aus, was die meisten Menschen im Land denken, einschließlich vieler seiner Kollegen: Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und den Staatsapparat ist äußerst niedrig und nach dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten im Februar dieses Jahres auf einen Tiefpunkt gesunken.
Darüber äußerte sich kürzlich zum wiederholten Mal kein Geringerer als der Staatspräsident Andrej Kiska: Nachdem die Polizei vier Tatverdächtige im Mordfall Kuciak verhaftet hatte, sagte Kiska, das sei zwar ein Erfolg, dennoch müsse die Polizei noch sehr viel tun, um verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Vor allem, so der Staatspräsident, müssten viele alte Fälle endlich zum Abschluss gebracht werden.
Hinauszögern, vertuschen
So wie der Mordfall von Most pri Bratislave. Ivan Chovan und seine Mitarbeiter in der Mordkommission ermittelten mehr als zwei Jahre. Sie konnten Branislav Adamco als Mörder dingfest machen, einen für seine besondere Brutalität bekannten Anführer einer Gruppe von Schwerkriminellen aus der Südostslowakei. Adamco ist wegen mehrfachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Doch ein rechtskräftiges Urteil im Prozess um die Morde in Most pri Bratislave ist nach 14 Jahren noch immer nicht gesprochen.