Als Halb-Hexe hat man’s doppelt schwer. Für Sabrina (Kiernan Shipka), die kurz vor ihrer “Dunklen Taufe”, dem endgültigen Pakt mit dem Teufel, steht, kommt alles zusammen – falls sie sich dem Wunsch ihrer Tanten Zelda (Miranda Otto) und Hilda (Lucy Davis) beugt und in der Halloween-Nacht das “Book of the Beast” unterschreibt, darf sie nicht mehr auf ihre alte High School in Greensdale zurückkehren. Sie müsste ihre Clique, ihre Freundinnen und den süßen, bis über seinen Bartflaum verliebten Boyfriend Harvey (Ross Lynch) im Stich lassen.
Auf der Pro-Seite stehen allerdings Unsterblichkeit, magische Fähigkeiten, die Anwendung von Zaubertricks, Fliegen mit oder ohne Besen – ebenjener vielversprechende Schmu, den die Hexen-Fiction seit Jahrhunderten in ihre Geschichten strickt. Sabrina entscheidet sich ziemlich zu Anfang dieser Neu-Adaption der 90er-Jahre-Serie “Sabrina – Total Verhext” gegen den Pakt und für das Dazwischen: “Ich habe beide Wege gewählt. Oder auch keinen”, erklärt die Protagonistin aus dem Off, während klassische, nächtliche Gruselhausbilder die zweite Folge von “Chilling Adventures Of Sabrina” (abgekürzt “CAOS”), beenden.
Doch damit fängt die Geschichte erst richtig an. Denn CAOS, die der spießigen Nachmittags-Sitcom nur in Personal und Prämisse ähnelt, hat eine andere Intention: Bei der Figur Sabrina, gekonnt-schnippisch und selbstbewusst verkörpert von Shipka (Sally Draper in “Mad Men”), geht es ebenfalls um das Dazwischen. Um den Zustand zwischen Teen und Erwachsensein, Fisch und Fleisch, Halb-Hexe und, so sind die Regeln, Full-Blood-Hexenakademieabsolventin.
Hexen helfen
Es geht um das Flüggewerden einer jungen Frau in einer mit liebevollen Retro-Horror-Accessoires ausgestatteten Welt, die im Inneren aber modern ist: Sabrinas erste Amtshandlung ist der Aufbau einer Studentinnenorganisation mit dem vielsagenden Namen “WICCA” (altmodisch englisch für Hexer), die gegen übergriffige Schulkameraden, Mobbing und andere Ungerechtigkeiten vorgeht. Dass Sabrina die großmäuligen Peiniger ihrer Freundin Ruth dann allerdings nur mithilfe von ein paar weiteren Hexen zu Leibe rücken kann, gibt zu denken: Braucht man tatsächlich magische Fähigkeiten, um sich gegen unverschämte Macho-“Mortals” zur Wehr zu setzen?
Showrunner Roberto Aguirre-Acasa, der auch für die in Setting und Aufbau “CAOS” ähnelnde Serie “Riverdale” schreibt, trifft mit der Neufassung von Sabrina einen Nerv: Man könnte die “CAOS”-Charaktere – ob nun die nonchalant mit Zigarettenpinzette rauchenden Althexen, den charmanten, bisexuellen Cousin Ambrose (Chance Perdomo), Sabrinas besessene Tutorin oder auch ihren permanent ängstlichen Freund Harvey – durchaus als feministisch bezeichnen.
Die weibliche Macht, ein Thema in vielen Hexenmythen zwischen 1200 und heute, wird hier lustvoll ausgespielt. Ungleich der vielen anderen, nach eindeutigen Regeln konstruierten Mystery-TV-Erfolgen wie der furchtlosen Vampirjägerin “Buffy” oder den hübschen, wohlmeinenden Hexen in “Charmed”, den biederen Sitcoms “Verliebt in eine Hexe” und eben “Sabrina – total verhext”, verläuft bei “CAOS” eine Streitlinie zwischen privilegierten weißen Männern und bunten, modernen Frauen.
Das Halsschlagaderblut spritzt
Außerdem ist die Serie düsterer, nerdiger und hipper als ihre Vorläuferinnen im Geiste: Hier wird schonmal zu “Monster Mash” von Bobby Picket getwisted, und in einem Gespräch über Zombiefilme erläutert Ruth ihren Freunden die Symbolik von Untoten und Seuchen im Film.
Auch an Schreck- und Splattermomenten sparen die Erfinder nicht: Mit einem jugendlichen, schon einigermaßen medienkompetenten Publikum im Auge inszenieren die Macher und Macherinnen spritzendes Halsschlagaderblut und gruseliges Verwesungsgetier, das sich nachts im Schlafzimmer versteckt. Für Bibi Blocksberg-, Ottfried Preußler- und Schrumpelmei-Afficionados ist das Gefühls- und Horrorchaos von “CAOS” also absolut nicht gedacht.
Dennoch: “CAOS” vergibt viel Potential. Zu langsam wiegt sich die Dramaturgie in Fahrt, zu vorlaut, ungebrochen und durchschaubar ist die Hauptfigur, Angst hat man kaum um sie. Die angenommene Medienkompetenz auch jüngerer Zuschauerinnen und Zuschauer erlaubt schon viel komplexere und spannungsreichere Plots. Bei “CAOS” muss man hingegen ewig dranbleiben, sich viel doppelt und dreifach erklären lassen, einige abgestandene Witze weglächeln und stolpert dabei auch noch über Logikfehler.
Dabei hatte das bei Harry Potter, dessen Genese vom normalen Schüler zum Mega-Wizard dem Weg Sabrinas nicht unähnlich ist, doch schon besser geklappt – in Hogwarts wurde jedes logisch-magische Problem schlichtweg durch “besondere Zauberregeln” wegräsoniert. Und dass Sabrina im Kampf gegen den Teufel irgendwann einen Anwalt zu Rate zieht, ist fast schon rührend altmodisch: Als ob man den Beelzebub je mit dem “advocatus diaboli” hätte austreiben können.