Ausnahmeregelung für Abschiebung von “Gefährdern”
Der 29 Jahre alte Ahmet Karakas besitzt die türkische Staatsbürgerschaft, ist aber in Deutschland geboren. Er sitzt seit März in Langenhagen im Abschiebegefängnis. Das Land Niedersachsen will ihn in die Türkei abschieben und dafür eine Spezialvorschrift aus dem Aufenthaltsgesetz anwenden, den Paragrafen 58a.
Er ermöglicht bei nachgewiesenem Terrorismusverdacht die Abschiebungen von islamistischen “Gefährdern”, die keinen deutschen Pass besitzen. Der Rechtsweg ist verkürzt: Einzige Instanz ist das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Rechtsanwalt Schumann kritisiert, im Falle seines Mandanten werde diese Rechtsnorm missbraucht. Sein Mandant sei kein islamistischer Gefährder. Dem Innenministerium gehe es nur darum, eine unerwünschte Person loszuwerden, die zwar eine kriminelle Vergangenheit habe, der aber kein Terrorbezug nachgewiesen werden könne. Die Anwendung der Vorschrift sei deshalb verfassungswidrig, sagt Schumann.
Innenministerium: “Es geht eine terroristische Gefahr aus”
Das niedersächsische Innenministerium weist diesen Vorwurf zurück. Man habe sich präzise an die Maßstäbe von Gesetz und Rechtsprechung gehalten, sagte Ministeriumssprecher Philipp Wedelich im NDR: “Nach unserer Bewertung geht von dieser Person eine terroristische Gefahr und auch eine besondere Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus.” Konkrete Fragen wollte das Ministerium mit Blick auf das laufende Verfahren nicht beantworten.
Abgehörte Telefonate belegen keine Verabredung zu Straftaten
Nach gemeinsamen Recherchen des NDR Regionalmagazins Hallo Niedersachsen und von NDR Info war Ahmet Karakas nach seinem Umzug von Kassel nach Göttingen im Sommer vergangenen Jahres ins Visier der Polizei geraten. Er hatte dort Kontakte zu Personen, die von der Polizei extremistischen Islamistenkreisen zugerechnet werden. Ein erheblicher Teil der Erkenntnisse stammt nach NDR Informationen aus abgehörten Telefongesprächen.
Zur Last gelegt werden Karakas abstrakte Gewaltfantasien gegenüber Polizeibeamten, die er in Telefonaten mit seiner Familie nach einer Hausdurchsuchung äußert. Konkrete Verabredungen zu politisch motivierten Straftaten gibt es in den Protokollen nach NDR Informationen nicht, auch keine politischen Gesprächsinhalte.
Langes Straftatenregister
Der in Kassel geborene Karakas ist bei der Polizei kein Unbekannter. Sein Straftatenregister ist lang: Es geht um gemeinschaftlichen Diebstahl, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, gemeinschaftlichen Raub, häusliche Gewalt und vieles mehr. Er gehörte in Kassel zunächst der Türsteher-, dann der Rockerszene an. Niedersachsens Behörden attestieren ihm ein impulsives Auftreten und hohe Gewaltbereitschaft.
Familie bestreitet Islamismus-Nähe
Die Einschätzung, sein Mandant sei ein radikaler und gewaltbereiter Islamist, hält Anwalt Schumann vor allem aus einem Grund für falsch: “Wenn schon alles abgehört wurde, warum gibt es keinen einzigen konkreten Hinweis auf Islamismus, auf Salafismus, auf Ablehnung von Ungläubigen?” Auch Karakas’ deutsche Lebenspartnerin Dureen Gerke aus Göttingen bestreitet eine islamistische Gesinnung.
Dagegen sprächen schon ihre konkreten Lebensumstände: “So wie ich mich kleide, das würde doch kein Islamist mitmachen.” Und noch ein Argument führt sie an: “Wir haben einen Hund und der darf sogar mit ins Bett. Das passt doch nicht zu einem Salafisten.” Hunde gelten unter strenggläubigen Muslimen als unreine Tiere.
Unterschriftenliste gegen Islamisten-Einstufung
Die Schwester von Ahmet Karakas beschreibt ihren Bruder als lebenslustigen Draufgänger, dem Prahlerei und Unbedarftheit immer wieder zum Verhängnis geworden seien, so sei es auch hier. Sie hat auf die Schnelle Unterschriften im Freundes- und Bekanntenkreis gesammelt: “Ahmet ist kein Islamist” haben rund 200 Menschen unterschrieben.
Karakas bereit für Fußfessel und Polizei-Überwachung
Karakas ließ sich in der Abschiebehaft von einem NDR Team interviewen. Vor laufender Kamera sagte er: “Ich habe erst hier im Gefängnis von meinem Anwalt erfahren, was die Scharia überhaupt ist. Ich wäre der Letzte, der so leben will, wie die Scharia es vorschreibt.” Das Verfahren gegen ihn bezeichnete er als “ganz großen Irrtum”. Er sei auch bereit, eine Fußfessel zu tragen oder im Hausarrest zu leben, er habe nichts zu verbergen. Der Nennung seines ganzen Namens im Norddeutschen Rundfunk hat er ausdrücklich zugestimmt.
Das Amtsgericht Hannover hatte bei einem Haftprüfungstermin eine Beschwerde gegen die Festsetzung von Karakas zurückgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht wird möglicherweise in dieser Woche über die Abschiebung entscheiden.