Die guten Nachrichten zuerst: Wir haben seit 2002 eine Art globalen Wasserzähler im Weltraum, der uns die Verlagerung von Wassermassen auf dem Planeten zuverlässig anzeigt. Seien es anschwellende Flüsse im Amazonasgebiet oder sinkende Grundwasserpegel in Kalifornien.
Es handelt sich bei dem „Zähler“ um ein Satellitenpaar, welches das Schwerefeld der Erde monatsweise kartiert: „Grace“ (2002 bis 2017) und „Grace-FO“ (seit 2018) haben die Wasserbeobachtung revolutioniert und Tausende von wissenschaftlichen Studien ermöglicht, insbesondere zu den Eismassenverlusten der Antarktis und Grönlands, aber auch zum gesamten Wassergehalt auf und unter dem Boden Europas.
39 Milliarden Tonnen Wasser fehlten in Deutschland im August 2022. Mehr als jemals sonst zu dieser Zeit.
Der „Gesamtwasserspeicher“ (Terrestrial Water Storage, kurz TWS) ist eine der essenziellen Klimavariablen der Weltorganisation für Meteorologie – und nur Grace-FO ist in der Lage, TWS-Veränderungen auf globaler Skala abzubilden.
Es dauert um die vierzig Tage, bis aus den Rohdaten, die wir über die GFZ-Satelliten-Empfangsstation auf Spitzbergen empfangen, eine Monatskarte berechnet ist und man daraus Veränderungen zu den Vormonaten und -jahren ableiten kann.
Alarmierende Daten über den Verlust an Grundwasser in Deutschland
Das bringt uns zu den schlechten Nachrichten: Drei der letzten fünf Jahre waren in Deutschland Dürrejahre, das vierte neigt sich gerade dem Ende zu. Die aktuellsten Daten zeigen für den August 2022, dass das sommerliche Wasserdefizit Deutschlands schlimmer denn je war.
Dieses Jahr fehlten im August 39 Milliarden Tonnen Wasser zusätzlich zu den 34 Milliarden Tonnen Wasser, die im Sommer schon normalerweise weniger zur Verfügung stehen als im Jahresdurchschnitt. Im bisher schlimmsten Dürrejahr, 2019, fehlten im August 38 Milliarden Tonnen Wasser mehr als sonst. Zum Vergleich: Die gesamte Fördermenge an Wasser für Industrie, Landwirtschaft und alle Haushalte beträgt in Deutschland 5,3 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Eine weitere Entwicklung macht große Sorgen: Die Eisschmelze auf Grönland und Spitzbergen beschleunigt sich. Der große Eisschild, der Grönland bedeckt, verliert jedes Jahr dauerhaft durchschnittlich 270 Milliarden und die kleine Inselgruppe Spitzbergen 14 Milliarden Tonnen Wasser, die jeweils ins Meer gehen und damit zum Meeresspiegelanstieg beitragen.
Das konnten Forschende mit den Daten der Grace-Satelliten erstmals direkt nachweisen. Während es für Grönland so aussieht, als bewegte sich der Verlust dieses Jahr im Durchschnitt, sehen Forschende des Alfred-Wegener-Instituts dramatische Entwicklungen auf Spitzbergen: Dort gingen von August 2021 bis August 2022 33 Milliarden Tonnen Eis verloren – mehr als doppelt so viel wie üblich.
Finanzierung des Nachfolgers der Grace-Satelliten in Gefahr
Nun muss die Fortsetzung der einzigartigen Quelle für diese Daten, der Grace-FO-Satellitenmission, gesichert werden. Unsere Partner, die Weltraumagenturen Nasa in den USA und DLR in Deutschland, planen daher eine Folgemission ab 2028, dem erwarteten Lebensende der Grace-FO-Satelliten.
Doch dafür müssten im Laufe dieser Woche im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages die ersten Finanzmittel für 2023 bewilligt werden. Die Nasa wird insgesamt rund 370 Millionen US-Dollar investieren, hinzu kämen – je nach Konfiguration der beiden Satelliten – zwischen 134 und 206 Millionen Euro, die Deutschland über die nächsten fünf Jahre aufbringen müsste. 2023 brauchen die deutsche Industrie und KMUs zwischen 15 und 28 Millionen Euro, um mit den Arbeiten beginnen und einen Start der Satelliten Ende 2027 garantieren zu können.
Für den Satellitenbau fließen aus den USA, ähnlich wie bei Grace und Grace-FO, diesmal voraussichtlich zwischen 140 und 180 Millionen Euro an deutsche Hightech-Unternehmen zurück – das ist beispiellos in der Raumfahrtkooperation zwischen Deutschland und den USA und zeugt vom großen gewachsenen Vertrauen.
Es droht der Verlust des einzigen globalen Wasserzählers im All
Eine Verschiebung des Baus ist möglich, aber doppelt riskant. Zum einen endet die offizielle Lebensdauer von Grace-FO im kommenden Jahr. Die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR und das Deutsche Raumfahrtkontrollzentrum GSOC, die den Betrieb der Satelliten durchführen, machen uns zwar Hoffnungen, dass der Treibstoff bis 2028 reicht.
Aber, und das ist das zweite Risiko, eine wichtige Kontrolleinheit auf einem der Satelliten ist bereits kurz nach dem Start ausgefallen. Wir fliegen dadurch mit einem „single point of failure“, ohne Netz und doppelten Boden. Je früher wir also eine Nachfolgemission starten können, desto sicherer ist die Kontinuität der einzigartigen Datenreihe.
Vor fünf Jahren, vor dem Start von Grace-FO, fragte die „New York Times“, was wir verlieren könnten, wenn Grace ausfallen würde. Die Antwort damals wie heute lautet: unseren einzigen globalen „Wasserzähler“ im All. Wir wären vielerorts auf Schätzungen und Modelle angewiesen. Besser, wir haben alarmierende Daten als gar keine Daten.