Die Europäische Union will die Landwirtschaft mit dem Einsatz moderner Kommunikationstechnologie modernisieren. Doch die Vorgaben aus Brüssel treffen auf eine schlecht ausgebaute Infrastruktur in Deutschland. Thüringer Landwirte verzweifeln zwischen Funklöchern und unausgereifter Software.
Wenn Landwirt Alexander Wiesner über seine Felder in Nordthüringen fährt, hat er seine Ruhe. Selten klingelt hier draußen das Handy. Denn zwischen den Hügeln des ländlichen Südharzes, westlich von Nordhausen, ist das Mobilfunknetz ein Schweizer Käse, der besonders das D1-Netz betrifft. Die Funklöcher könnte Landwirt Wiesner mit einem genervten Schulterzucken abtun, wäre da nicht die jüngste EU-Agrarreform.
Agrarreform setzt auf Digitalisierung
Die Agrarreform trat am 1. Januar 2023 in Kraft. Ein bedeutender Teil des Pakets sieht den Einsatz moderner Kommunikationstechnologien auf europäischen Äckern vor. Satellitenüberwachung, künstliche Intelligenz, Bilderkennung und das 5G-Netz sollen die Landwirtschaft modernisieren. Im Idealfall soll die Technik die Geodaten der Felder und angebaute Kulturen aus dem Weltall erkennen und an die Behörden übermitteln. Die Agrarreform soll für weniger Bürokratie und niedrigere Kosten sorgen.
Die gesammelten Daten sind für die Bauern von großer Bedeutung. Sie sind die Grundlage für Fördermittel der “Gemeinsamen Agrarpolitik” (GAP). Zwischen 40 und 60 Prozent der Einnahmen Thüringer Landwirte basieren auf EU-Subventionen, schätzt der Bauernverband. An der Technik hängt das wirtschaftliche Überleben vieler Betriebe.
Behörden verlangen digitale Nachweise
Doch auch Künstliche Intelligenz kann versagen oder Satelliten schlechte Aufnahmen liefern. Deshalb sind Bauern verpflichtet, auch selbst digitale Nachweise für ihre Fördermittelanträge zu liefern. Sie müssen Fotos machen oder Geodaten zu sammeln, um diese über eine spezielle App an die Behörden zu übermitteln. In Thüringen heißt diese “TLLLR-FAN”. Das steht für “Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum – Fragen, Antworten und Nachweise”. Doch die App ist instabil, kritisieren die Landwirte.
Alexander Wiesner hat dies kürzlich erlebt. Das Thüringer Landesamt schickte ihm eine Kontrollfrage zu seinem Antrag. Er sollte eine Brachfläche nachweisen. Die Fläche darf nicht zuwachsen und muss mindestens einmal im Jahr neu gehäckselt werden. Ein Foto sollte dies beweisen. Doch die Kombination aus unausgereifter App und Funklöchern machen Wiesner die Arbeit unnötig schwer. Der Landwirt kann die Fotos nicht direkt vom Feld abschicken, weil er kein Netz hat.
Er wollte die Fotos nach Feierabend vom heimischen WLAN aus verschicken. Doch die App zeigte an: “Anmeldezeitpunkt überschritten”. Als sich sich der Landwirt erneut einloggte, waren die Fotos verschwunden. Denn das Programm speichert Fotos nicht dauerhaft auf dem Gerät, sondern ausschließlich temporär in der App. Meldet sich die App nach bestimmter Zeit ab, sind die Fotos weg. Wiesner hat daraus gelernt. Er macht seine Fotos, fährt mit dem Auto zum nächsten Hügel, auf dem es Funk gibt und schickt die Fotos umgehend weg.
Ich hatte einen Landwirt, der hatte 4.000 Bilder in der App gesammelt. Das Programm stürzte ab und alles war weg. Michael König |
Andere Landwirte hat die FAN-App deutlich härter getroffen. Besonders jene, die sogenannte Agrarumweltmaßnahmen im großen Stil umsetzen. Zum Beispiel Blühstreifen, auf denen unterschiedliche Blumen wachsen, die Lebensgrundlage von Insekten sind. Die EU erstattet jene Einkommensverluste, die Bauern durch diese Umweltmaßnahmen entstehen. Für große Flächen können dabei große Mengen an Fotos zusammenkommen, die als Nachweis per FAN-App verschickt werden.
Michael König vom Bauernverband Thüringen berät Mitglieder in Sachen Digitalisierung. Er kennt besonders extreme Fälle aus seinen Beratungen: “Ich hatte einen Landwirt, der hatte 4.000 Bilder in der App gesammelt. Das Programm stürzte ab und alles war weg”, so König. Im App-Store von Apple hat die Anwendung derzeit 1.9 von 5 Sternen.
Mobilfunkmast ohne Funk
Alexander Wiesner und sein Geschäftspartner Andreas Gerbothe sind auf eine funktionierende Digitalinfrastruktur angewiesen. “Gerbothe und Wiesner” betreiben einen hochmodernen Landwirtschaftsbetrieb in Obersachswerfen im Landkreis Nordhausen. Sie haben 1.050 Hektar an Flächen, die sich auf Thüringen und Niedersachsen verteilen. Wegen der hohen Technisierung, genügen neun Mitarbeiter, um den Betrieb zu bewirtschaften.
Etwa in der Milchproduktion. 120 Milchkühe werden durch Roboter automatisiert gemolken. Die Maschinen können aber noch mehr. Sie messen die Temperatur oder untersuchen anhand eines Leitwerts die Milch nach Krankheiten. Diese werden per Mobilfunk direkt auf das Handy von Andreas Gerbothe übermittelt.
“Der große Vorteil ist, wir können Krankheiten wie Euterentzündung oder Verdauungsstörung so früh erkennen, dass wir dem Einsatz von Antibiotika zuvorkommen. Doch dazu muss es schnell gehen. Wenn wir unten auf den Feldern im Funkloch ackern, funktioniert das nicht”, sagt Andreas Gerbothe.
Umso größer ist das Kopfschütteln über den Mobilfunkausbau in der Region. Bei Obersachswerfen steht seit über einem Jahr ein Funkmast, der nicht funktioniert. Im September 2022 errichtete die Telekom das Gestell. Danach passierte bis heute nichts. In manchen Dörfern in der Umgebung hat die Netzanzeige auf dem Handy keinen einzigen Strich. “Wir hatten diesen Sommer einen Feldbrand. Ich konnte die Feuerwehr nicht alarmieren. Ich bin ins Auto gestiegen und selbst in den Ort zur nächsten Feuerwehr gefahren.”
Wir hatten diesen Sommer einen Feldbrand. Ich konnte die Feuerwehr nicht alarmieren. Ich bin ins Auto gestiegen und selbst in den Ort zur nächsten Feuerwehr gefahren. Andreas Gerbothe
Zwischen Hightech und Überforderung
Doch nicht alle Betriebe in Thüringen setzen auf Hightech. Der Einsatz von Smartphones auf den Feldern überfordert besonders ältere Landwirte, sagt Michael König vom Bauernverband. “Wir haben Antragssteller, die sind 70 Jahre und älter. Besonders in Südthüringen haben Bauern in den Bergen kleine Schläge. Da macht die Satellitenerkennung oft Fehler. Wenn dann noch die FAN-App Probleme macht, sind viele Bauern überfordert”, so König.
Bereits zum Jahresende laufen die letzten Fristen für Fördermittelanträge ab. Um Einnahmeverluste der Bauern zu vermeiden, fordert der Thüringer Bauernverband deshalb nochmals in die Testphase bei der Thüringer FAN-App zu gehen. “Hätten wir an jedem Grashalm 5G, wäre das alles kein Problem. Aber die Technik steckt noch in den Kinderschuhen”, so Michael König.